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Alles kann uns Königin sein

„Das Wagnis: Das Grundwort (Du) kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden: wer sich drangibt, darf dafür von sich nichts vorenthalten; (…)“

Martin Buber

 

Eine revolutionäre Errungenschaft von Bubers Hauptwerk „Ich und Du“ ist der Gedanke, wahre Begegnung als eine bestimmte Qualität des Kontakts mit unserer Umgebung zu erkennen. 

 

Ist das wichtig? Und wenn ja, warum?

 

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ Für mich ist Bubers Idee zu einer reichen Quelle der Erkenntnis geworden. Seit die Pforte dieses Jahresmotto für 2018 ausgerufen hat, haben sich die Navigationsinstrumente meiner inneren Wahrnehmung völlig verändert: Aus Bubers Idee ist ein Kompass geworden, der mir hilft, riskante Entscheidungen zu treffen. Ich entscheide mich immer öfter für die schutzlose Hingabe an die Menschen und Herausforderungen, die mir als Du begegnen. Zitternde Knie gehören jetzt viel mehr zu meinem Alltag. Wo wir uns wahrhaftig begegnen, gibt es kein „Das habe ich nicht so gemeint“, wenn der Andere von unseren Worten getroffen ist. Da gefallen wir nur, weil das, was in uns lebendig ist, gefällt. Und wir missfallen, weil das, was in uns lebendig ist, missfällt.  

 

All das ist vielleicht nicht immer angenehm, aber immer wahr. Und nur dort kann das Leben seine Flussrichtung ändern.

Das Bedürfnis, das Leben unter Kontrolle zu halten, ist der Sehnsucht gewichen, dem Leben zu antworten, wo es mich anfasst oder unter Umständen sogar erschüttert.

Mir kommen unweigerlich einige Zeilen aus einem Liebesgedicht Pablo Nerudas in den Sinn:

 

„Und wenn Du erscheinst,

rauschen alle Flüsse

in meinem Körper auf, rütteln

die Glocken am Himmel,

und ein Hymnus erfüllt die Welt.

 

Nur du und ich,

nur du und ich, meine Liebe,

hören ihn tönen.“

 

Neruda schreibt diese so zarten und gleichzeitig kraftvollen Zeilen an „seine Königin“. Es ist jene Königin, die nur der Liebende in ihrer königlichen Schönheit erkennt.

Buber hilft uns, die wahrhaftige Begegnung aus dem engen Rahmen der Liebesbeziehung herauszureißen und hineinzutragen in unsere Alltagswelt oder in unseren gesamten „Weltvollzug“, wie Martin Heidegger das nennen würde.

 

Alles kann uns Königin sein und uns anfassen: Die kleine, innige Melodie  genauso wie der Sommerwind, der unsere Ohren und unsere Haut durchweht, ein Satz unseres Gegenübers, der uns im Herzen trifft, ein Blick, eine Berührung, all das kann die Flüsse in unserem Körper aufrauschen lassen. Nicht selten sind diese Begegnungen mit der Königin „Leben“ nicht nur bequem, sie „treffen“ uns und bringen uns um unsere Routine. Da kann auch durchaus ein Gefühl der Beschämung anklopfen. Wenn wir offenbleiben und uns diesen Begegnungen stellen, verwandeln sie uns.

 

Buber lädt ein, sich vor dem Leben nicht zu verstecken. Oder vielmehr: Er verführt uns, durch all diese Schmerzen und Unsicherheiten durchzugehen. Er überzeugt uns, mit Unaufgelöstem und Unfassbaren Kontakt aufzunehmen.

Nehmen wir diese Einladung an. Für mich persönlich ist sie jedenfalls eine gute Basis, um mich auf die Kraft des Vertrauens einzulassen. Damit beschäftigt sich die Pforte 2019, ganz im Sinne Hilde Domins: 

 

„Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug.“ 

                                               

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