Die Verwandlung

Zwischen Halten und Lassen

 

Pforte im Frauenmuseum  |  Konzert & Ausstellung

Sa 28. September, 17 Uhr, Frauenmuseum Hittisau

 


 

Programm

 

Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Streichquartett op. 74 Es-Dur

1. Poco Adagio – Allegro
2. Adagio ma non troppo
3. Presto – Più presto quasi prestissimo
4. Allegretto con Variazioni

Vilma von Webenau (1875-1953)
Streichquartett

Joseph Haydn (1732-1809)
Streichquartett D-Dur, op. 76/5 Hob. III 79
1. Allegretto
2. Largo, cantabile e mesto
3. Menuetto. Allegro ma non troppo
4. Finale. Presto

 


Epos-Quartett
Sophie Heinrich Violine
Verena Sommer Violine
Klaus Christa Viola
François Poly Violoncello

 

 


Nachklang einer Seele oder wie klingt das Entzücken?

 

Die mittelhochdeutschen Wurzeln des Wortes Entzücken weisen auf einen dynamischen Prozess hin: außer sich geraten, heftig ziehen, eilig wegnehmen oder rauben. Was alle Deutungen gemeinsam haben: es geht um eine unkontrollierbare, plötzlich auftretende Bewegung, die aus dem Alltagszustand fortreißt, hinein in eine Welt der Glückseligkeit. Die Welt verklärt sich, dort angelangt, fühlen wir uns eins mit allem was ist, was uns umgibt und sind gleichzeitig zutiefst berührt. In dem Moment passt kein Blatt Papier mehr zwischen die Welt und uns selbst.

 

Als großer Haydn-Liebhaber ist mir der 2. Satz, das Largo, aus dem Streichquartett op. 76/5 in D-Dur in den Sinn gekommen: für mich das klanggewordene Entzücken. Das Werk ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich: Es ist das Herzstück des Werkes, was schon sehr von Haydns Gewohnheiten abweicht. Üblicherweise war der Kopfsatz die Visitenkarte eines Haydn-Quartetts, aber in diesem Werk wurde ganz offensichtlich alles andere um dieses Largo gebaut. Äußerst ungewöhnlich ist auch die von ihm gewählte Tonart Fis-Dur. Fis-Dur war im 18. Jahrhundert eine «verrückte» Wahl, ein Satz in dieser Tonart war mehr als ungewöhnlich. Haydn hat als ausgezeichneter Geiger einen physikalischen Sachverhalt ausgenützt, der dieser Musik ihren besonderen Zauber verleiht. Es gibt fast keine Tonart, in der nicht wenigstens eine leere Saite der Streichinstrumente Resonanz gibt. Es gibt auch praktisch keine Tonart, bei der nicht einmal eine leere Saite gespielt werden kann. Leere Saiten bringen Klarheit und Obertonreichtum, Obertöne widerum geben dem Klang besonders viel Resonanz. Fis-Dur ist also eine Tonart, die keine Resonanztöne und keine leeren Saiten zulässt. Dafür sind alle Töne ein wenig indirekter, ein ganz bisschen «gedeckt», weniger greifbar. Da strahlt nichts mehr äußerlich, aller Glanz ist schon von vornherein entfernt und so kann dieser Satz seinen einzigartigen klanglichen Zauber entfalten.

 

Von zwei Zeitgenossen Haydns gibt es spannende Beschreibungen zur Tonart Fis-Dur, die ebenso gut dieses Largo charakterisieren. So sah Cramer 1786 in Fis-Dur eine herrliche Mischung von einem edlen, und wegen des seltnen Gebrauchs der Tonart befremdenden, erhabenen Stolze, geschickt, den Zuhoerer in bewunderndes Staunen zu setzen. Schubarts Zugang zur Tonart von 1784 trifft mit anderen Worten das Einzigartige dieses Satzes. Er erlebt in der Tonart den Triumph in der Schwierigkeit, freyes Aufathmen auf überstiegenen Hügeln; Nachklang einer Seele, die stark gerungen, und endlich gesiegt hat – liegt in allen Applicaturen dieses Tons.

Haydns Largo wirkt tatsächlich wie ein Nachklang einer Seele, die stark gerungen und endlich gesiegt hat. Nach Jahrzehnten großer Anstrengung mündet Haydns persönliche Heldenreise in einen friedvollen Lebensabend.

 

Klaus Christa