In Memoriam Jürgen Kombächer (26.Jänner 1950-3.September 2022)

Sei, und wisse zugleich des Nichtseins Bedingung,
den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung,
dass du sie völlig vollziehst,
dieses einzige Mal.

Rainer Maria Rilke

 


Nein, es wird vorerst keine Pforte Schokolade mehr geben.
Dass wir ein paar Jahre die mittlerweile legendäre Schokolade genießen durften, war ein ausgesprochener Glücksfall. Ein noch größerer Glücksfall war es, den Menschen hinter der Schokolade kennen und lieben lernen zu dürfen: Jürgen Kombächer.

Es ist nun fünf Jahre her, als uns die Pforte Musikerin Verena Sommer spät nachts nach einem Konzert eine kleine, weiße Papiertasche voller Kombächer-Schokoladen auf den Küchentisch stellte. Die blieb da natürlich nicht unberührt stehen und wir kosteten uns durch die verschiedensten Sorten. Als wir bei der Schokolade mit kräftigem Bergkäse angekommen waren, wussten wir nicht nur, dass dieser Mann keine Berührungsängste kennt, wir ahnten auch, dass er zur Pforte passen würde. Der Entschluss, auf Jürgen zuzugehen war schnell gefasst, der Besuch seiner Manufaktur in Scheidegg folgte rasch. Als wir Jürgen in seinem maximal zehn Quadratmeter großen Schokoladenparadies begegneten, war das Liebe auf den ersten Blick. Ohne viel Worte ein großes Einverständnis auf vielen Ebenen. Jürgen ließ sich auf diese Partnerschaft ein und sagte uns zu. Das war keineswegs selbstverständlich, denn er schaute sich die Menschen ganz genau an, die von ihm Schokolade haben wollten. Wir hatten also Glück gehabt. Dass Jürgen ein großer Freund der Pforte und vor allem Förderer der jungen Menschen der Pforte von morgen werden sollte, ahnten wir damals noch nicht.

Die erste Pforte Schokolade war kreiert und Jürgen besuchte mit 500 Schokoladetafeln in der Tasche sein erstes Pforte Konzert, das er mit der Bemerkung verließ: „Jetzt habe ich euch gehört und weiß, wie in der Pforte Musik gemacht wird. Da muss ich eine ganz andere Schokolade kreieren.“ Nichtsdestotrotz stieß die „unpassende“ Schokolade auf helle Begeisterung.  

Jürgen erfuhr immer als einer der ersten das Jahresmotto der Pforte, was ihn sofort zu neuen Erfindungen inspirierte. Wir erinnern uns, als Jürgen zur Pressekonferenz im Oktober 2021 anreiste und nach ihrem Ende uns, voller Ideen im Kopf, mit dem Satz verließ: „Jetzt weiß ich, was ich Euch da mache.“ Was waren das für wunderbar aufregende Momente, wenn wir in der Konzertwoche nach Scheidegg fuhren, um die neuesten Kreationen abzuholen: Täfelchen, Riegel oder manchmal auch Pralinen.
Dass Schokolade mit demselben künstlerischen Zugang entstehen kann, wie Komponist*innen Musikstücke schreiben, lernten wir von ihm. Jürgen war ein Komponist, der mit Begeisterung und Hingabe seine Füllungen kreierte. Er hat uns gelehrt, dass Menschen alles zur Kunst erheben können. Bei ihm wurden Klänge in Schokolade verwandelt.

Nie vergesse ich den Anruf Jürgens vor der Aufführung unseres Konzert Theaters Beethovens unsterbliches Geheimnis: „Klaus, was hatte der Beethoven denn für kulinarische Vorlieben?“ Mir fiel Beethovens „heiliges“ Kaffeeritual ein: Er trank täglich einen Kaffee aus sechzig abgezählten Kaffeebohnen. Diese Information reichte ihm, um den Beethoven-Riegel zu erfinden, der die reinste Verführung war, der ich vor und nach dem Konzert unmöglich widerstehen konnte: Die Füllung mit der perfekten Menge an knusprigen Kaffeebröseln. Von nichts zu viel und nichts zu wenig. Darauf angesprochen, erzählte er uns, dass das Rezept für diese Füllung unter den Klängen seiner Lieblingssymphonie, der «Pastorale», entstanden ist.

Als wir in den tiefsten Pandemiezeiten den Beschluss fassten, das Mutmacherkonto zu eröffnen, um Student*innen des Vorarlberger Landeskonservatoriums, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten waren, zu unterstützen, war Jürgen Feuer und Flamme. Für jedes Konzert hatte er einen eigenen Mutmacherriegel kreiert, von denen er uns jeweils eine ganze Menge schenkte, um den Erlös vollumfänglich Stipendiat*innen des Mutmacherkontos zukommen zu lassen.  

Das war Jürgen: begeisterungsfähig, dem Leben kompromisslos zugewandt, ein Humanist, der die Welt mit seinen eigenen Sinnen eroberte und in seiner Schokoladensprache auf sie antwortete. Er ließ sich von seinem Herzleiden nicht unterkriegen. Wer ihn kannte, konnte sich gar nicht vorstellen, dass dieses Damoklesschwert über ihm schwebte, zu leidenschaftlich und mutig ließ er sich auf das Leben in allen Farben ein.

Er wusste um des Nichtseins Bedingung, um die berührende Zeile von Rainer Maria Rilke zu zitieren. Er wusste es und vollzog sie völlig, seine innige Schwingung, dieses einzige Mal. Er wandte sich dem Leben begeistert zu, im Wissen um seine Endlichkeit. Er wird uns fehlen, physisch zumindest. In unseren Herzen wird er uns nicht fehlen, dort hat er einen Platz erobert. Wir brauchen uns nur an seine blitzenden Augen erinnern, seinen Schalk und seine ansteckende Freude am Tun.

Und alle, die sie einmal gekostet haben, wissen:
Es hat sie wirklich einmal gegeben, die Pforte Schokolade.

 

Klaus Christa