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Entzücktes Staunen im Blütenrausch

Klaus Christa

Die Begegnung mit dem Du im Sinne des Religionsphilosophen Martin Buber wird wesentlich durch unsere Bereitschaft, uns auf das Gegenüber einzulassen, ermöglicht. Es gibt aber durchaus eine Ausnahme: Wenn unser Gegenüber uns überwältigt, dann geht uns mitunter die Fähigkeit, Abstand zu halten, verloren und wir werden „ins Äusserste“ gerissen, wie Buber das dramatisch ausdrückt.

 

Eine solche Überwältigung ist für uns die Phase des Frühlings, in der wir uns jetzt befinden. Explosionsartig beginnt es nun um uns herum zu blühen, die Farben des Frühlings strahlen uns an. Wenn jetzt noch die Rosenblüte einsetzt, kommen überfallsartig tausende herrlich duftende Blüten hinzu und verwandeln diesen Blütenzauber in einen wahren Blütenrausch.

 

Auch wenn wir noch so auf dem Standpunkt des distanzierten Betrachters verharren wollten, kann es durchaus geschehen, dass wir uns der Pracht ergeben müssen, weil wir uns einfach nicht mehr entziehen können. So erging es wohl dem Dichter Barthold Heinrich Brockes, der vor über 300 Jahren völlig überwältigt vom Hamburger Frühling war:

 

„Höret nur,

Des beblümten Frühlings Pracht

Ist die Sprache der Natur,

Die uns deutlich durchs Gesicht

Allenthalben mit uns spricht.“

 

Und als ob Brockes die Gedankenwelt Martin Bubers vorausgesehen hätte, geht diesem Vers die wunderbare Metapher: „Meine Seele hört im Sehen“ voraus. Unsere Seele „hört“, weil unser Auge im Sehen „spürt“, dass wir angesprochen oder vielmehr angelacht werden:

 

„Meine Seele hört im Sehen,

Wie den Schöpfer zu erhöhen,

Alles jauchzet, alles lacht.“

 

Hier entsteht ein religiöses Gefühl, WEIL der Betrachter überwältigt ist, von diesem „Angesprochensein“ durch die Pracht des Frühlings. Es ist spannend, dass diese Art von religiöser Erweckung keiner theologischen Bildung bedarf. Das Wunder der explodierenden Blütenpracht reicht aus, um uns in diesen Zustand der Entzückung und Dankbarkeit zu versetzen, um uns für diese Welt zu gewinnen. Das gilt für alle Menschen. Ob in Asien, Afrika oder Europa, ob wir uns Christen, Muslime oder Buddhisten nennen: Wir können uns nicht entziehen, so wie sich Barthold Brockes nicht entziehen konnte. Wenn wir uns darauf einigen können, dass „Alles wirkliche Leben Begegnung ist“, wie Buber das meint, dann gibt es kein „wirkliches“ Leben ohne diese Begegnung mit der Natur. Ohne diese Begegnung brauchen wir keine Religion und keine Theologie, weil wir dann ja gar nicht „wirklich“ leben.

 

Was ist Spiritualität letztlich anderes als dieses dankbare Staunen ob all der Wunder und Geheimnisse um uns? Was, wenn nicht dieses sprachlose Staunen, das um Worte und Klänge ringt, wie die bezaubernden Arien von Barthold Brocken und Georg Friedrich Händel?

 

Konzert N°3

MEINE SEELE HÖRT IM SEHEN

Pförtnerhaus Feldkirch
Pforte um Sieben Do 17. Mai 2018, 19 Uhr

Pforte um Acht Fr 18. Mai 2018, 20 Uhr

 

Karten:

Tourismusbüro Feldkirch Montfortplatz 16800 Feldkirch
T 0043 5522 73467 karten@feldkirch.at

www.v-ticket.at und an der Abendkasse

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