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So wahr und so unfassbar

Klaus Christa

Alle MusikerInnen kennen diese Erfahrung:

Wenn wir uns ein Werk zu eigen machen wollen, dann klingt es beim ersten Mal Durchspielen wahrscheinlich etwas pauschal und wahrscheinlich nach dem Zustand, in dem WIR uns genau  in dem Augenblick befinden.

Wenn wir uns dann wiederholt auf das  Werk einlassen, dann geschieht eine wundersame Verwandlung:

An der einen Stelle des Werkes wird uns Klang vielleicht fragender, zögernder, an einem anderen Platz wird er leidenschaftlicher- und auch die Leidenschaft bekommt ein Richtung: Ist sie freudig, verzweifelt, optimistisch oder heroisch? Klingt es dunkel oder hell, geheimnisvoll oder klar? Für manche dieser Veränderungen finden wir vielleicht ein Wort, ein Adjektiv, andere bleiben unbenannt im Raum der Musik, ohne Namen, aber eben doch ganz wirklich für unsere Seele.

 

 

So streicheln wir immer achtsamer und horchender über den „Körper“ des Musikstücks, wir erfahren ihn in seiner Einzigartigkeit…

Die einzige Orientierung, die wir auf diesem Weg haben, sind die Empfindungen, die in uns bei diesem Prozess des Ertastens entstehen, die Musik bringt IN unserer Seele all diese Nuancen zum Schwingen, die Musik aktiviert diesen Empfindungsreichtum IN uns.

 

Und wenn wir uns auf diese Weise solche Werke wie Schuberts Forellenquintett ertasten, dann ertasten wir eben auch viel Zerbrechliches, wir kommen gerade in Räume, in denen wir uns nicht mehr so sicher sind, wo wir bestenfalls etwas erahnen, wo wir nicht mehr genau wissen, wo die Konturen verschwimmen, ein Lachen hat da eine Träne im Auge, oder hinter einem Gefühl der Melancholie versteckt sich leise Freude…

 

Und doch sind gerade diese Ahnungen, die unmöglich zu fassen sind, so hartnäckig, dass wir sie einfach nicht mehr vergessen können, im Gegenteil:

Sie haben sich tief in unser Herz gebohrt und lassen uns nicht mehr los.

 

Wir alle spüren:

Dies ist nur möglich, wenn wir uns ganz öffnen, uns gar nicht bewahren.

Wir werden nie wissen, ob es „richtig“ war, wir wissen bestenfalls, dass wir uns ganz hinein gegeben haben, dass wir alles preisgegeben haben, was uns möglich war. Wir wissen dann: in diesem Augenblick war es IN UNS wahrhaftig.

 

 

Wenn ich dann als Mitspieler meinen MitspielerInnen zuhöre, wie sich zunehmend offenbaren, sich zerbrechlich zeigen und durchlässig und durchsichtig werden, dann sind das Momente, die mich im Innersten anrühren und mich einladen, dasselbe zu tun, diese Verletzlichkeit zu leben und auszudrücken.

Dies sind Momente grosser Intimität und Intensität….

Dass wir uns so schonungslos öffnen, wird eben möglich, weil die Musik eine Geheimsprache ist, unser Geheimnis, unser geöffnetes Herzens befindet sich in einem geschützten Raum, ein Raum, der sich nur denen öffnet, die sich nach dieser Durchlässigkeit sehnen.

 

Mich beglückt und verwirrt die Tatsache, dass das Geheimnis der Musik einerseits so spekulativ und ungreifbar, andererseits so wirklich und gewiss ist- das ist für mich das Wunder der Musik.

 

Das geheimnisvolle Du meiner Mitspieler- ich begegne ihm in diesen Augenblicken.

Und ich frage mich:

 

Wie können wir Menschen für diese zerbrechlichen Begegnungen mit unserem Inneren gewinnen, wie können wir sie für DIESES Geheimnis, das der Musik innewohnt, begeistern?

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