Wo die halbe Welt auf der Bühne steht

Vorarlberger Nachrichten, Fritz Jurmann | 29.10.2021

 

Das „Pforte“-Kammerorchester Plus wurde in internationaler Aufstockung zum Kraftzentrum.

Meist einmal in der „Pforte“-Saison mobilisiert Kurator Klaus Christa sein relativ neues Kammerorchester, um im Saal des Konservatoriums das meist klein besetzte Programm seiner Konzerte etwas aufzumöbeln. Nun war es zur Generalprobe des neuen Projektes Abo 5 wieder so weit. Zwar war der vorgesehene prominente Ensembleleiter Thomas Reif krankheitsbedingt verhindert, doch fand sich mit der international gefragten lettischen Geigerin Vineta Sareika, von der Schubertiade bekannt als Primaria des Artemis-Quartetts, kurzfristig eine exzellente Musikerpersönlichkeit, die dem Abend ihren Stempel aufdrückte.

 

Eine Überraschung ergab sich für die Zuhörer, als deutlich wurde, was es mit dem „Plus“ beim Kammerorchester auf sich hatte. Beim Auftritt strömten so viele junge, hier zumeist unbekannte Musiker auf die Bühne, dass sich daraus ein respektables Orchester mit einer 44-köpfigen Mozartbesetzung ergab. Es handelt sich dabei um ein Kulturprojekt mit Unterstützung der Hilti Foundation aus Liechtenstein. Damit werden die finanziellen Voraussetzungen geschaffen, um neben dem Stamm mit Studierenden des Konservatoriums auch professionell ausgebildeten Musikern ähnlicher Organisationen aus Kolumbien, Chile, Bolivien und den hier bekannten südafrikanischen Bochabela-Strings ein gemeinsames Arbeiten in diesem Projekt zu ermöglichen. Das Abendprogramm mit den vielen fremdländischen Namen beweist es: Da stehen Musiker aus drei Kontinenten und damit die halbe Welt in diesem Kammerorchester Plus auf der Bühne.

 

Kaum glaublich aber ist es, wie es in so kurzer Probenzeit und beim Entfall des ursprünglichen Leiters gelungen ist, eine solche Homogenität und Sicherheit herzustellen, wie man sie an den beiden späten repräsentativen Mozart-Werken bewundert. Beide stehen in Es-Dur, einer auch für Mozart besonderen Tonart, wie Klaus Christa vorab erläuterte, in der die Terz, der Herzton des Dreiklangs, auf Streichinstrumenten besonders frei schwingt. Und genau so „beherzt“ wird auch musiziert, am Beginn die Sinfonia Concertante KV 364, in der Violine und Viola als Soli dem Orchester gegenübergestellt werden, sich aber auch untereinander immer wieder melodienselig verbinden oder einander scheinbar übertrumpfen. Vineta Sareika mit ihrem wunderbar beseelten Geigenspiel und der verlässliche Klaus Christa kommen dieser Aufgabe in fein sprechender Artikulation nach, das Orchester nimmt seine Verantwortung ohne Dirigenten bis zum letzten Pult wahr, bleibt hoch wach und konzentriert, dabei klangschön und sauber.

 

In der finalen Symphonie Nr. 39, KV 543, werden diese Vorzüge im Orchester noch deutlicher, weil sich die Konzertmeisterin hier ohne Soloaufgaben mehr ihrer leitenden Funktion widmen kann. Sie macht aus dem Orchester ein Kraftzentrum, das Mozarts drittletzte große Symphonie wie einen Wirbelwind durch den Saal jagt, mit so extremen dynamischen Ausbrüchen, als stünde Originalklang-Papst Harnoncourt persönlich hinter ihnen, dabei doch stets auch im Geiste von Mozarts Einfachheit verhaftet.

Der Kontrast zwischen beiden Werken ist der Pflege des Schaffens von Komponistinnen aus Geschichte und Gegenwart geschuldet, das sich die „Pforte“ auf ihre Fahnen geschrieben hat. Das Stück stammt von der 36-jährigen steirischen Pianistin Viola Hammer und nennt sich vieldeutig „Thrown back on blind spots“, „Auf blinde Flecken zurückgeworfen“. Die musikalische Umsetzung erweist sich dann als notierte Jazz-Improvisation einer einfachen Melodie mit modernem Minimalismus als Rhythmusteppich, was den Youngstern so gut gefällt, dass jeder drauflos spielt, was nur geht, inklusive des eingebauten Chaos-Teils. Das ergibt in einer ohnehin überladenen Instrumentation ein ambitioniertes, aber undifferenziertes Stück neuer Musik.