Michael Löbl · 11. Nov 2023 · Zeitschrift · Kultur · Musik


Kammermusik von zwei Komponistinnen und ein lange verschollen geglaubtes Meisterwerk – die Pforte Konzerte bieten wie immer Überraschendes abseits des Mainstream. Auch die poetischen Titel sind ein Markenzeichen der Pforte-Konzerte, Untertitel diesmal: Wie eine Welle im Morgenmeer.


 „Von der Unbändigkeit der Musik“. Das Publikum genießt die entspannte Atmosphäre am Donnerstagabend im Feldkircher Pförtnerhaus bei Pforte um 7, dem vorletzten Abonnementprogramm im Zyklus 2023.
Die Komponistin Elena Firsova gratuliert dem Ensemble nach der Aufführung ihres Klavierquartetts (Foto: Fritz Jurmann)
Ein Phänomen des Konzertlebens unserer Zeit ist die Wiederentdeckung von Komponistinnen, die zu ihren Lebzeiten durchaus Erfolg hatten, dann aber aus verschiedenen Gründen in Vergessenheit geraten sind. Dabei geht es nicht nur um die Werke der üblichen Verdächtigen Clara Schumann, Fanny Mendelssohn oder Alma Mahler; derzeit sind vor allem bisher kaum gehörte Namen wie Emilie Mayer, Dora Pejačević, Amy Beach oder Ethel Smyth regelmäßig in internationalen Konzertprogrammen zu finden. So wurde die Erste Symphonie der Amerikanerin Florence Price von den Wiener Symphonikern im Rahmen der Bregenzer Festspiele gespielt und beim diesjährigen Brucknerfest in Linz waren statt den Symphonien des Namenspatrons unter dem Titel „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan“ vor allem Werke von Komponistinnen zu hören.


Auf den Spuren einer Wiener Künstlerin
Auch Klaus Christa, Gründer und Künstlerischer Leiter der Pforte-Konzerte, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit diesem Thema, Namen wie Mélanie Bonis, Louise Farrenc oder Vilma von Webenau sind regelmäßig in den Programmen von Musik in der Pforte präsent. Die Wiederentdeckung einer speziellen Komponistin ist inzwischen so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal dieser Konzertreihe geworden: Maria Bach. Als Pionier hat sich Klaus Christa auf die Spuren dieser interessanten Künstlerin begeben, verbrachte viel Zeit in Wiener Bibliotheken, sichtete und kopierte Noten und machte sich auf die Suche nach Rechtsnachfolgern. Maria Bach stammt aus Baden bei Wien, ihre meisten Werke entstanden in der Zwischenkriegszeit zwischen 1920 und 1935 und waren teilweise sehr erfolgreich. Eröffnet wurde das Konzert im Pförtnerhaus mit Maria Bachs Erstem Streichquartett. Es
besteht aus einem Variationssatz, einem Bolero und einem virtuosen Finale. Der erste Satz litt unter den zahlreichen Blätterpausen zwischen den einzelnen Variationen, da das Ensemble aus der Partitur spielen musste. Die beiden folgenden Sätze allerdings sind ein kompositorischer Wurf. Der Bolero ist unglaublich effektvoll – Maria Bach hat sich anscheinend intensiv mit Maurice Ravels Bolero beschäftigt – und wäre ein ideales Zugabestück für jedes Streichquartett. Und spätestens im brillanten Finale fragt man sich, warum niemand diese Komponistin kennt und warum ihre Musik derart in Vergessenheit geraten konnte.


Komplexe Strukturen
Es folgte die „Feldkircher Erstaufführung“ des Klavierquartetts der russischen Komponistin Elena Firsova, die seit vielen Jahren in England lebt. Das Klavierquartett op. 146 ist ein Kompositionsauftrag von Musik in der Pforte, die Realisierung wurde wegen Corona mehrmals verschoben, das neue Werk wurde allerdings dann doch bereits einmal im Frauenmuseum Hittisau aufgeführt. Elena Firsovas Werke werden weltweit gespielt, zuletzt ihr Klavierkonzert, das nach seiner Uraufführung im Juni 2022 mit Yefim Bronfman und dem Concertgebouw Orchestra Amsterdam auch in Berlin mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester und mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in München zu erleben war. Beim Klavierquartett hätte man sich gewünscht, es nach der Pause noch einmal hören zu können. Es ist zu komplex, um es gleich beim ersten Mal zu erfassen. Elena Firsova hat eine sehr persönliche Handschrift, ihre Musik ist vollkommen eigenständig. Der erste Satz des Klavierquartetts geht so schnell vorüber – bis man sich in die Klangsprache der Komponistin eingefühlt hat, ist er schon wieder vorbei. Der zweite Satz, ein rhythmisch-virtuoses Scherzo, beeindruckt durch seinen Drive und seine atemlose Atmosphäre. Das Finale ist ein entrücktes Adagio, übereinander geschichtete Flageoletts der Streicher erzeugen eine beklemmende Stimmung. Das hervorragende Ensemble hat das Klavierquartett von Elena Firsova bereits für eine CD eingespielt, die demnächst veröffentlicht wird. Ein Wiederhören mit diesem Werk ist unbedingt zu empfehlen.


Ein lange verschollenes Frühwerk
Klaus Christa hat für die Pforte-Konzerte einen außergewöhnlichen Musiker:innenpool etabliert, diesmal war das Ensemble Louise Farrenc mit Mayumi Kanagawa und Pavel Fischer (Violine), Klaus Christa (Viola), Mathias Johansen (Violoncello) und Katya Apekisheva (Klavier) zu hören. Ein hervorragende Formation, besonders auffallend die intensive Gestaltung und der riesige, samtige Ton der Geigerin Mayumi Kanagawa auf ihrer Stradivari. Auch nach der Pause bekommt das Publikum Außergewöhnliches zu hören. Das Klavierquintett in C-Dur von Béla Bartók ist ein Frühwerk des 22-jährigen Komponisten. Der spätere Bartók-Stil ist zwar bereits zu erahnen, in erster Linie prägen allerdings Anklänge an Johannes Brahms, Antonin Dvořák, Richard Strauss und vor allem an Bartóks ungarischen Kollegen Ernö von Dohnányi diese Komposition. Dessen Klavierquintett op.1 war damals in aller Munde und somit sicher ein Vorbild. Bartók vertrat aber irgendwann die Meinung, dass er seine persönliche musikalische Sprache in diesem Stück noch nicht gefunden hatte und wollte es daraufhin nicht mehr aufführen. Aus diesem Grund wurde es über 40 Jahre lang nicht gespielt und galt als verschollen. Das Ensemble Louise Farrenc stürzte sich mit Herzblut und gewaltiger Intensität in dieses spätromantische Klanggemälde, schuf gewaltige Steigerungen und extreme Ausdrucksmomente. Ein faszinierendes Werk, großartig gespielt.