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Von der Liebe

 

 

"Die Musik drückt aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist."

Victor Hugo

 

Diese Worte Victor Hugos haben sich mir während der Vorbereitung des Konzert-Theaters „Beethovens Geheimnis- die unsterbliche Geliebte“ völlig neu erschlossen. In unserer minutiösen Recherche rückten Werk und Biographie so eng zusammen, dass Beethovens innere Notwendigkeit, sich „durch Musik darüber zu äußern, worüber zu schweigen unmöglich war“, überzeugend nachvollziehbar wird.

 

 

Dieses Adagio affettuoso ed appassionato wirkt wie ein Meteorit, der in diese Sammlung von 6 Streichquartetten eingeschlagen hat. Der hochexpressive Tonfall sprengt die Konvention der bisher vom jungen Beethoven geschriebenen Werke und öffnet eine neue Welt musikalischen Ausdrucks. Im Mittelteil lässt Beethoven alle Hüllen fallen, er verliert völlig die Fassung, ein Ausbruch nackter Verzweiflung lässt uns Hörer_innen erschüttert zurück. Tief trauriger Gesang steht neben bitterem und verzweifeltem Rufen. Hier spricht ein Berührter, nein, ein Erschütterter von seiner tiefen Traurigkeit. In dieser Klarheit ist das verstörend neu:  Beethoven, der zu dieser Zeit seine Emotionen noch in elegante Gewänder kleidet, wie das seine Vorgänger Haydn und Mozart auch getan haben.

 

Warum entsteht genau zu diesem Zeitpunkt an dieser Stelle dieses Adagio? 

Im Rahmen der Recherchen habe ich die Antwort darauf gefunden:

1799 unterrichtete Beethoven die beiden Schwestern Josephine und Therese von Brunsvik im Klavierspiel und er verliebte sich unsterblich in die junge Josephine. Über Wochen verbrachte er täglich mehrere Stunden mit den beiden Damen im Hause der Adelsfamilie Brunsvik. Eines Tages erfuhr er, dass die junge Frau, die er liebte, den Grafen von Deym heiraten würde. Für Beethoven brach eine Welt zusammen. Wir können förmlich greifen, wie Beethoven innerlich tobte während er der jungen Frau höflich zu dieser Gelegenheit gratulierte. Und genau da schrieb er diesen präzisen musikalischen Tagebucheintrag.

Beethoven befragte seinen Freund Amenda nach einer Aufführung, was er sich beim Anhören des Adagios gedacht hatte. Die Antwort war: „Es hat mir den Abschied zweier Liebenden geschildert.“ „Wohl“, entgegnete Beethoven, „ich habe mir dabei die Szene im Grabgewölbe aus Romeo und Julia gedacht.“

(Anm.: Jene Szene, in der Romeo in der Gruft die vermeintlich tote Julia betrachtet und sich dann selbst tötet. Julia, wieder erwacht, ersticht sich aus Entsetzen über den Tod ihres Geliebten.)

 

Eines wird sehr deutlich und zieht sich durch alle Werke, die im Dunstkreis der „unsterblichen Geliebten“ entstanden sind: Beethoven als bedingungslos Liebender dringt in diesen Werken, in denen sein eigenes Schicksal in der Musik widerhallt, in ganz neue Sphären ein. Der Erfinder der radikal subjektiven Musik öffnet sich schonungslos in seiner Betroffenheit. Da denke ich vor allem an das Streichquartett in f-Moll, op. 95, das er 1810 begonnen hat:  Es ist Beethovens einziges Quartett, das er ohne Auftrag niederschrieb. Es beginnt mit einem vor Wut und Verzweiflung rasenden Kopfsatz, der uns Hörer_innen ständig zwischen verzweifelter Raserei und großer Zärtlichkeit hin- und herreißt. Beethoven hat weder davor noch danach einen so kurzen, dichten, fast wahnsinnigen Eröffnungssatz komponiert.

 

Zurück zu seiner Biographie:

1804, nach nur vier Ehejahren, starb der erste Mann von Josephine und sie blieb als Witwe mit vier Kindern zurück. Da intensivierte sich erneut der Kontakt zwischen ihr und Beethoven. Liebesbriefe wanderten hin und her, bis sich Josephine schlussendlich der Beziehung entzog, weil sie sonst „heilige Bande“ hätte verletzen müssen, wie sie selber schrieb. Es handelt sich wohl um die „heiligen Bande“ der standesgemäßen Heirat, die notwendig waren, um das Sorgerecht für ihre Kinder zu behalten. Und wieder wurde Beethoven von einem ungeheuren Schmerz heimgesucht, als er von der Wiederverheiratung Josephines mit Baron von Stackelberg erfuhr. Mit ihm führte sie einige Jahre eine unglückliche Ehe. Diese Nachricht scheint ihn völlig aus der Fassung gebracht zu haben, wie die inneren Wechselbäder der Gefühle aus verzweifeltem Zorn und großer Zärtlichkeit seines Opus 95 mit beängstigender Präzision zu Gehör bringen. Dass das Werk ein intimes musikalisches Bekenntnis war, können wir schon daran erkennen, dass es erst vier Jahre nach seiner Entstehung aufgeführt wurde. Und was noch ungewöhnlicher ist:  Beethoven hatte gar nicht an eine Veröffentlichung gedacht, so persönlich war der Tonfall. Sechs Jahre (!) nach der Entstehung wurde das Werk publiziert und dazu schrieb er an George Smart nach London: „The Quartett is written for a small circle of connaisseurs and is never to be performed in public.“ (Das Quartett ist für einen kleinen Kreis von Kennern geschrieben, aber auf keinen Fall, um es öffentlich aufzuführen.)

 

Die Wochen der Vorbereitung, die ich mit Beethoven und seiner einzigen großen Liebe verbrachte, haben mich unendlich bereichert. Die Musik, die er in diesem Kontext geschrieben hat, lässt mich Beethoven wie einen Bruder erleben, der all die Gefühle durchschreiten musste, die jeden wahrhaft Liebenden erschüttern. Seine Werke erscheinen mir wie Stenogramme der Empfindungen dessen, worüber dem Liebenden „schweigen unmöglich ist“ und was mit Worten nicht gesagt werden kann. Im „Brief an die unsterbliche Geliebte“ schreibt er: „Deine Liebe macht mich zum Glücklichsten und Unglücklichsten zugleich.“ Dieses Zitat erinnert mich unweigerlich an die Worte des 100 Jahre später geborenen Khalil Gibrans „Von der Liebe“:

 

 

Wenn die Liebe dir winkt, folge ihr, sind ihre Wege auch schwer und steil.

 

Und wenn ihre Flügel dich umhüllen, gib dich ihr hin,

Auch wenn das unterm Gefieder versteckte Schwert dich verwunden kann.

 

Und wenn sie zu dir spricht, glaube an sie,

auch wenn ihre Stimme deine Träume zerschmettern kann

wie der Nordwind den Garten verwüstetet.

 

Denn so, wie die Liebe dich krönt, kreuzigt sie dich.

So wie sie dich wachsen lässt, beschneidet sie dich.

So wie sie emporsteigt zu deinen Höhen

und die zartesten Zweige liebkost, die in der Sonne zittern,

steigt sie hinab zu deinen Wurzeln

und erschüttert sie in Ihrer Erdgebundenheit.

 

Wie Korngarben sammelt sie dich um sich.

Sie drischt dich, um dich nackt zu machen.

Sie siebt dich, um dich von deiner Spreu zu befreien.

Sie mahlt dich, bis du weiß bist.

Sie knetet dich, bis du geschmeidig bist;

Und dann weiht sie dich ihrem heiligem Feuer,

damit du heiliges Brot wirst für Gottes heiliges Mahl.

 

All dies wird die Liebe mit dir machen,

damit du die Geheimnisse deines Herzens kennenlernst

und in diesem Wissen ein Teil vom Herzen des Lebens wirst.

 

Aber wenn du in deiner Angst nur die Ruhe und die Lust der Liebe suchst,

dann ist es besser für dich, deine Nacktheit zu bedecken

und vom Dreschboden der Liebe zu gehen.

In die Welt ohne Jahreszeiten,

wo du lachen wirst, aber nicht dein ganzes Lachen,

und weinen, aber nicht all deine Tränen.

 

Liebe gibt nichts als sich selbst und nimmt nichts als von sich selbst.

 

Liebe besitzt nicht, noch lässt sie sich besitzen;

 

Denn die Liebe genügt der Liebe.

 

Und glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken,

denn die Liebe, wenn sie dich für würdig hält, lenkt deinen Lauf.

 

Liebe hat keinen anderen Wunsch, als sich zu erfüllen.

 

Aber wenn du liebst und Wünsche haben mußt, sollst du dir dies wünschen:

Zu schmelzen und wie ein plätschernder Bach zu sein,

der seine Melodie der Nacht singt.

 

Den Schmerz allzu vieler Zärtlichkeit zu kennen.

Vom eigenen Verstehen der Liebe verwundet zu sein;

Und willig und freudig zu bluten.

 

Bei der Morgenröte

mit beflügeltem Herzen zu erwachen

und für einen weiteren Tag des Liebens dankzusagen;

 

Zur Mittagszeit zu ruhen

und über die Verzückung der Liebe nachzusinnen;

 

Am Abend mit Dankbarkeit heimzukehren;

Und dann einzuschlafen

mit einem Gebet für den Geliebten im Herzen

und einem Lobgesang auf den Lippen.

 

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