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Die Busfahrt

Bloemfontein/Südafrika | 5.-10. Januar 2020

Probencamp des Bochabela String Orchestras für die Aufführung des Konzert- Theater „Beethoven goes Africa“ bei den Bregenzer Festspielen und dem Rheingau Musik Festival im Sommer 2020 

 

 

Wenn wir nach einem intensiven, anstrengenden Probetag unseren Bus bestiegen, um die halbstündige Fahrt zu unserem Quartier anzutreten, entfaltete sich jeden Abend dasselbe (und doch nicht das Gleiche) Ritual: Jemand stimmte eine der Kirchenhymnen an, die allen jungen Leuten der verschiedenen Communitys vertraut sind. Zu dieser einen Stimme mischten sich rasch andere Stimmen, es entwickelte sich ein mehrstimmiger Chorsatz, der stetig an Energie gewann, bis sich dieser Klang zu einem energiegeladenen Brausen steigerte. Die Sitzbänke des Busses verwandelten sich in Schlaginstrumente, ein auf dem Sitz liegender Kontrabass wurde genau in dieser Position gespielt. Nach wenigen Minuten war ein komplexes, hochenergetisches Meer an Klängen hörbar, in das sich gellende Schreie und Pfiffe mischten. Manche erhoben sich von ihren Sitzen und begannen, selbstvergessen und bestimmt auf der Stelle zu tanzen.  „Es ging voll ab“ würden junge Menschen dieses Ereignis in Europa beschrieben haben. Irgendwann schwoll diese musikalische Flutwelle wieder ab und wurde leiser, um Platz zu machen für die nächste Welle, die nie lange auf sich warten ließ. Die Hymnen wechselten, auch die Instrumentation und die Solist_innen, die Magie jedoch blieb unverändert. Zu groß war die Komplexität der Klanggebilde, zu dicht die Energie, zu intensiv die Präsenz der Singenden, um mich daran gewöhnen zu können. 

Durch meine Arbeit mit dem Bochabela String Orchestra beobachte ich dieses Phänomen seit Jahren und kann doch so wenig über den tieferen Grund dieses klingenden Geheimnisses sagen. Ich weiß nur, was es ganz sicher nicht ist: Anstrengung, Wille, ein Müssen oder bewusste Organisation. Ich orte hinter diesen Gesängen einen zutiefst intuitiven Prozess, der eine Autorität ausstrahlt, die ich auf wenigen Konzerten meines Lebens als Musiker erlebt habe. Es ist, als ob die kollektive Seele sich der Einzelnen bedient, um sich durch das Zusammenklingen der Stimmen auszusprechen. Ein Klangkörper im eigentlichen Sinne des Wortes entsteht und zieht alle Anwesenden in ein Energiefeld, das dem Einzelnen alleine völlig unerreichbar wäre. In diesem Prozess vereinen sich vermeintliche Gegensätze: Wildheit und Harmonie, Vielstimmigkeit und Einheit, Komplexität und Schlichtheit, Kraft und Entspannung. Die Spiritualität, die diesem Phänomen zugrunde liegt, ist physisch erlebbar und wirkt ungehemmt, aber nicht enthemmt.

 

Ich glaube, so klingt die Begeisterung des Lebens über sich selbst!

 

 

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